Von @Margra

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Eine letzte Rast, ehe sie das letzte Stück des Weges hinter sich bringen würden. Ein kleines Feuer hatten die Gefährten hinter ihr entzündet, dessen Prasseln bis in ihren Geist vordrang, weit mehr, als die Gespräche derer, die sie begleiteten. Die Worte flossen an ihr vorbei wie ein Gebirgsbach, der letztlich irgendwo zwischen den Steinen verschwand. 
Ragnhildr stand einfach dort, die rechte Hand auf den Griff des Schwertes an ihrer Seite gelegt und tief ein und wieder ausatmend. Ihre linke Hand indessen ruhte im Nacken ihrer Waffenschwester und Geliebten, der Eisseherin und Fischerin, deren Wärme sie selbst durch ihre gepanzerten Handschuhe zu spüren glaubte. Unter anderen Umständen hätte es ein Lächeln auf ihre Züge gebracht; jetzt aber beherrschten Strenge und Entschlossenheit ihr Antlitz, das starr gen Nordwesten gewandt war. Beinahe in Richtung Windhelm. Doch eben nur beinahe. Sie waren der uralten stolzen Stadt, dem Heim der Nord der Ostmarsch, zwar nah genug, als dass man sich einbilden könnte in den heran schlagenden Windböen die großen Hörner der Türme zu vernehmen, trotzdem weit genug entfernt, dass die wärmenden Herdfeuer lediglich eine gewisse Sehnsucht in Ragnhildr weckten. Lieber noch wäre ihr gewesen, sie wären nahe genug, dass jene, die in Windhelm lebten, die kommenden Schwerttaten mit eigenen Augen sehen und die berstenden Schilde und splitternden Knochen des Feindes hören könnten.

Aye.
Ein Teil von Ragnhildr brannte regelrecht auf den Kampf, der ihnen bevorstand. Ihr Herz pochte ihr schwer in der Brust und ihre Augen loderten der Ferne entgegen, in der sie in den Nebeln von aufwirbelnder Gischt, frischem Schnee und Windböen schon die Turmruinen zwischen den drei Felszacken aufragen zu sehen glaubte. Dampfend stiegen die tiefen Atemzüge vor ihrem Gesicht auf, mit denen sie bereits Kraft sammelte. Ihr Handschuh knirschte, als sie die Finger fester um den Griff des Schwertes schloss, der ihr noch immer … so fremd vorkam. Es war – bei Shors eisigen Knochen – einfach nicht ihre eigene Waffe. Und manches Mal, so wie jetzt, wurde ihr das fast schon schmerzhaft bewusst. Es war, als hätte man ihr die Finger ihrer Waffenhand gestutzt.

Und vielleicht war es genau das, was einen Keil des Zweifels in sie trieb. Ganz gleich, ob es nur ein lästiger Splitter war, er stach trotzdem immer wieder zu, ganz besonders, wenn sie ihre Hand tiefer im goldenen Haar ihrer Gefährtin vergrub. Der Rausch, die Freude auf den bevorstehenden Kampf wurde blasser. 
Was würde sie erwarten?
Wie viele Kultisten hatten sich um ihre Feuer und Zelt in den Ruinen gescharrt? 
Wenn Ragnhildr etwas über sie wusste, dann, dass sie sich vermehrten wie Ratten. Und ungefähr genau so schwer, waren sie auszuräuchern oder aber endgültig auszumerzen. Und noch etwas hatten sie mit den Biestern gemeinsam: Sie besaßen genau so viel Ehre. 
Seit ihrer über einige Monate andauernden Gefangenschaft verabscheute sie keinen Feind so sehr wie die Sklaven des Wurms und des Streitkolbens. Und, auch wenn sie das niemandem anvertraute, sie fürchtete auch keinen mehr als jene, die das Fleisch der Toten formten und die Gefallenen aus den Gräbern rissen.

Die Haare in ihrem Nacken stellten sich auf. Sie spürte die Gänsehaut, die ihre Arme herab kroch jeden einzelnen Zoll weit. Sie roch die Verwesung ihres Käfigs einmal mehr, sie schmeckte sie pelzig auf ihrer Zunge. Schatten huschten vor ihren Augen entlang und die Stimmen ihrer einstigen Peiniger drangen an ihre Ohren. Als wäre sie noch dort. Als wäre …
Mit einem wütenden Knurren schnaufte sie aus, spuckte dann in den Schnee vor sich und schloss ihre Hand für einen Moment etwas fester um den Nacken Erjastas, die nach wie vor dicht bei ihr ausharrte. 

„Wenn die Furcht dir an die Kehle geht, dann stell dich ihr, Ragnhildr. Kynes Stürme sind stets denen im Rücken, die tapfer sind!“ Tief in sich hörte sie die kräftige Stimme der Priesterin, mit der sie einst gereist war, die sie zu einer Kriegerin geschmiedet hatte. Und sie hörte auch die Worte eines Kindes, von denen sie wusste, dass es ihre eigenen waren:
„Wie soll ich denn tapfer sein, wenn ich Angst habe, Kriegerpriesterin?“
In dem faltigen Gesicht des kräftigen Weibes hatte sich damals ein Lächeln ausgebreitet und sie hatte ihre Pranke auf die Schulter des Mädchens gelegt, das Ragnhildr einst gewesen war. 
„Nur die Wahnsinnigen, die Törichten und die Toten kennen keine Furcht. Die Tapferen, die Krieger wissen, dass es ohne sie keinen Mut gibt. Vergiss das nicht, kleine Bärin.“

„Ich bin eine Kriegerin, bei Kyne!“, knurrte Ragnhildr in den eigenen Fellkragen und umgriff das Schwert fester, als könnte sie dadurch den fremden Griff bezwingen, „Und ich hab’ nicht vergessen, was du mich gelehrt hast, Jerdis! Tragen wir die Furcht zum Feind.“
Ihre Entschlossenheit zerrte an den Fesseln, die ihren Leib schon lange nicht mehr banden. Sie linderte das Scheuern um ihre Handgelenke, das sie seit den Nächten auf dem Schiff, das sie nach Thronnstein hatte bringen sollen, nicht mehr losgeworden war. Lästig wie das Ungeziefer in den Vorräten des Paktheeres in Rift. Es wurde endlich Zeit, sich den Erinnerungen zu stellen, die der Wurmkult in ihr wachrief! Und Ragnhildr glaubte fest daran, dass Kyne ihr genau diese Gelegenheit bot in der Nacht, die gerade hereinbrach. 
Erjasta – sie konnte der Mutter der Nord nur für eine Waffenschwester wie sie danken! – hatte sie gewiss nicht grundlos mit den Kriegern aus Jernheim gefunden. Weder war der Zeitpunkt Glück noch Zufall gewesen. Das Schwert eines Helden, das dessen Grab entrissen worden war und das sie zurückerlangen ausgezogen waren – ebenfalls kein Zufall. Kyne hatte sie nicht vergessen, nicht, als sie eine Gefangene gewesen war und auch nicht, als der Kult sie zum Verenden zurückgelassen hatte!

„Räche sie mit mir“, raunte sie leise an Erjastas Ohr, als sie sich niederbeugte und ihre Lippen erst auf die Schläfe und dann auf den Haarschopf schmiegte. Tief atmete sie den Geruch der goldenen wilden Mähne ein. Der pelzige Geschmack auf ihrer Zunge verschwand, der Verwesungsgestank wurde zu nicht mehr, als einer blassen Erinnerung. 
Die Entschlossenheit war Ragnhildrs Speer, ihr Glaube war ihr Schild. Und die Gefährtin an ihrer Seite war die Waffenschwester, mit der vereint sie keinen Kampf verlieren konnte. Das – und die tapferen Mitstreiter in ihrem Rücken – waren alles, das zählte. Alles, das sie brauchte, um den Kampfeswillen von Neuem zu entfachen. Ihr Herz begann kräftiger zu schlagen und sie wuchtete ihren Schild auf, um diesen an ihrem Arm zu befestigen. 
„Lassen wir sie Stahl schmecken.“

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